Seit 2013 legt die Initiative „Keine Bildung ohne Medien!“ (KBoM!) Wahlprüfsteine an die demokratischen Parteien zu den Bundestagswahlen vor. Diese Tradition des direkten Dialogs zwischen Zivilgesellschaft und Politik erfährt 2025 einen Einschnitt. Angesichts der kurzen Zeit des Wahlkampfes haben sich  die Generalsekretäre der Parteien CDU, CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Die Linke darauf geeinigt, nur noch Wahlprüfsteine von wenigen, vorab ausgewählten Organisationen zu beantworten. Fragen der Medienbildung kommen so nicht zum Zuge. So mussten wir als KBoM alternative Wege der politischen Analyse finden. In der Auseinandersetzung mit dieser Situation sind wir auf ein KI-gestütztes Analysewerkzeug gestoßen.

Handlungsorientierte und KI-gestützte politischen Meinungsbildung

wahl.chat ist ein KI-gestütztes Tool, das von einem Team aus Studierenden der Ludwig-Maximilians-Universität, der Technischen Universität München und der University of Cambridge entwickelt wurde. Es ermöglicht einen interaktiven Dialog über Parteipositionen auf Basis der Wahlprogramme und weiterer offizieller Parteidokumente. Das System nutzt das RAG-Verfahren (Retrieval-Augmented Generation), dass auf Basis einer Chat Anfrage die relevantesten Textpassagen aus den Parteiprogrammen identifiziert und für die Antwortgenerierung und zur Quellenprüfung bereitstellt, um so eine möglichst hohe Faktentreue zu gewährleisten. Durch gezieltes Prompt Engineering wird zudem versucht, dass die gefundenen Positionen neutral und ohne Interpretation wiedergegeben werden.

wahl.chat stellt dabei eine besonders niedrigschwellige Option dar, da es technisch einfach zu nutzen und kostenlos verfügbar ist. Alternativ können für die Analyse der Wahlprogramme aber auch andere KI-Systeme wie NotebookLM oder ChatGPT genutzt werden, wenn man die entsprechenden Wahlprogramme dort einspielt. Die Wahl des konkreten Tools ist dabei weniger entscheidend als der reflektierte Umgang mit den Möglichkeiten und Grenzen KI-gestützter Analysen.

Kritische Reflexion des KI-gestützten Ansatzes

Bei der Nutzung von wahl.chat für die politische Analyse sollten folgende wichtige Aspekte beachtet werden:

  1. Die Qualität der Antworten hängt unmittelbar von den verfügbaren Dokumenten ab. Nicht alle Parteien behandeln alle Themen gleich ausführlich in ihren Programmen. Fehlen Positionen zu bestimmten Fragen in den offiziellen Dokumenten, kann auch das KI-System keine fundierten Aussagen treffen. Das gilt leider für häufig nur knappe Aussagen zur Medienbildung in den Programmen der Parteien.
  2. Das System kann komplexe politische Zusammenhänge und Positionen nicht immer in ihrer vollen Tiefe erfassen. Besonders bei Querbezügen zwischen verschiedenen Politikfeldern oder bei der Einordnung historischer Entwicklungen sind die Grenzen der KI-gestützten Analyse zu beachten.
  3. Wie bei allen KI-Systemen besteht auch bei wahl.chat ein gewisses Risiko von Fehlinterpretationen sowie halluzinierten oder unerwarteten Antworten. Daher ist es wichtig, die angezeigten Quellenverweise zu prüfen und die Antworten kritisch zu reflektieren.
  4. Die direkte Interaktion mit Parteien und der persönliche Austausch bleiben weiterhin wertvoll und können durch technische Systeme nur ergänzt, nicht aber ersetzt werden. wahl.chat sehen wir als Werkzeug zur Unterstützung der politischen Meinungsbildung, nicht deren Ersatz.

In diesem Sinne laden wir dazu ein, sich aktiv und kritisch mit den Positionen der Parteien auseinanderzusetzen – als Beitrag zu einer informierten demokratischen Willensbildung trotz erschwerter Bedingungen des zivilgesellschaftlichen Dialogs.

KBoM! Wahlprüfsteine als Ausgangspunkt für die Analyse im Kontext von Medienbildung und Digitalisierung

Die folgenden von KBoM! formulierten Wahlprüfsteine können als Inspiration für den Dialog mit wahl.chat oder anderen KI Systemen dienen: 

  1. Welche konkreten Maßnahmen will Ihre Partei umsetzen, damit an Schulen eine zeitgemäße Bildung mit digitalen Medien realisiert wird? Welche Maßnahmen mit Blick auf die zentralen Faktoren Qualifizierung von Lehrkräften und digitale Infrastruktur setzen sie auf Bundesebene um?

  2. Studien wie zuletzt die ICILS 2024 belegen: bestehende Benachteiligungen schreiben sich im digitalen Raum fort. Welche Maßnahmen wird Ihre Partei weiterführen oder initiieren, um die Digitalkompetenzen gerade auch von Gruppen zu fördern, die hier größere Unterstützungsbedarfe haben?
  3. Künstliche Intelligenz birgt das Potenzial zur Veränderung gesellschaftlicher Prozesse und Strukturen. Welche Maßnahmen wird Ihre Partei umsetzen, damit Bildungseinrichtungen (Schulen & freie Träger in Bildung und Kultur) den damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel aktiv mitgestalten und begleiten können?
  4. Desinformation in digitalen Medienangeboten ist eine der zentralen politischen Herausforderungen dieser Zeit. Welche Maßnahmen und Gesetzesinitiativen wird Ihre Partei diesbezüglich anstreben? Welche Bedeutung spielt dabei die (politische) Medienbildung und welche Zielgruppen stehen dabei besonders im Fokus?
 
  5. Eine zeitgemäße Digitalpolitik mit Blick auf Minderjährige zeichnet ein abgestimmtes Zusammenspiel von Schutz, Befähigung und Teilhabe aus. Durch den DSA ergeben sich neue Möglichkeiten der Harmonisierung des Kinder- und Jugendmedienschutzes in Europa. Welche Ziele verfolgt Ihre Partei diesbezüglich?
  6. Der Kinder- und Jugendplan (KJP) ist ein wichtiges Instrument, über den Maßnahmen zur Förderung von Medienkompetenz finanziert werden. Wie stellt sich Ihre Partei zu einem Ausbau der Mittel zur Medienkompetenzförderung im KJP im Kontrast zur Deckelung in den vergangenen Jahren?
  7. Kinder haben das Recht auf Teilhabe an der digitalen Welt in altersgerecht gestalteten Diensten, die Informationen und Interaktionsmöglichkeiten eröffnen. Allerdings fehlt es an entsprechenden Angeboten. Welche Maßnahmen zur Förderung von altersgerechten Zugängen plant Ihre Partei umzusetzen?